Frauen*welt

29.05.2020

Ein Blogbeitrag für Frauen* und solidarische Männer*
(Triggerwarung: Sexuelle Gewalt)
Spätestens nach dem 15minütigen Video «Männerwelt» von Joko und Klaas, welches über Nacht viral ging, haben die meisten verstanden, dass sexuelle Belästigungen, bis hin zu sexueller Gewalt, der traurige Alltag vieler Frauen* sind.
Doch wieso muss ich immer noch ab und zu Bestätigungen bei Freund*innen einholen, um mir irgendwie zu beweisen, dass ich nicht schuld bin, an der sexuellen Gewalt die ich erfahren habe? Wieso führe ich immer noch einen inneren Monolog, um herbeizuleiten, wieso ich Opfer von sexueller Gewalt wurde? Und wieso erzählen mir immer noch Freundinnen*, dass es ihnen genau gleich ergeht wie mir?
Es kostete mich einige, sehr emotionale Gespräche, um Antworten auf diese Fragen zu finden, doch dieses eine Gespräch, welches ich vor kurzem hatte, führte bei mir zu etwas Einsicht.
Das erste Mal habe ich meine Blockade durchbrochen und face-to-face einer Freundin erzählt, was mir vor einigen Monaten geschah. Ich wurde Opfer sexueller Gewalt. Natürlich kostete es mich einige Kraft, diese Blockade zu überwinden und selten brauche ich so viel Kraft, um eine Geschichte aus meinem Alltag niederzuschreiben, wie gerade jetzt. Doch ich habe die Hoffnung, dass meine Einsicht auch anderen Frauen* helfen kann.
Nachdem ich meiner Freundin geschildert habe, was mir geschehen ist, redeten wird über andere Situationen, welche wir erlebten. Von Männern*, die einem betrunken und gefügig machen, solchen die einem nötigen, um zu bekommen was sie wollen. Von Männern*, die meinen, dass «nein» manchmal «ja» heisst und solchen, die ein einmaliges Einverständnis als Freifahrtschein verstehen.
Oftmals wissen diese Männer* gar nicht, dass sie überhaupt etwas falsch machen. Woher auch? Versteht mich nicht falsch, ich will diese Männer* nicht in Schutz nehmen, doch meist wird ihnen nie gesagt, dass sie einen Fehler begangen haben. Sie machen weiter wie bisher und zerstören wo möglich gerade das Leben der nächsten Frau*.
Wisst ihr was ich mega schlimm finde? (Abgesehen davon, dass Frauen* sexuelle Gewalt erfahren.) Vielen Frauen* ist nicht einmal bewusst, dass sie nicht wollen, was sie gerade erleben. Ihnen wurde, vermutlich nicht einmal Absicht, beigebracht, dass solche Situationen normal sind.
Bei Aussagen wie «zieh dich nicht so an», «lauf nachts nicht alleine Nachhause» oder «du musst dich wehren können» schwingt immer eine Botschaft mit, und zwar: «Du bist selber schuld, wenn dir etwas passiert!»
Ich erzähle meiner Freundin von Sex, den ich nicht wollte und doch hatte, weil frau das halt einfach so macht und bis dahin habe ich das nie hinterfragt. Ihr fiel auf, dass es in ihrem Leben zu genau gleichen Szenarien kam. Eine Sache, die wir immer wieder hörten, war, dass wir uns doch nicht so anstellen sollen, denn beim letzten Mal hätten wir es ja auch gewollt. Jahrelang suchte ich den Fehler bei mir, wurde aber nie fündig.
Als aber vor einigen Monaten Agota Lavoyer an der VV der JUSO Kanton Bern über sexuelle Gewalt an Frauen* sprach, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Es sei möglich, dass man etwas, dass man bis anhin wollte, plötzlich nicht mehr will.
Ich lese diesen Satz gerade zum dritten Mal und obwohl ich ihn beim Gespräch mit meiner Freundin sogar laut ausgesprochen hatte, fasse mir an den Kopf. Wie kann die Antwort auf die Frage, welche ich mir so lange gestellt habe, so banal sein?
Wiederholen wir ihn noch einmal, dass ihn auch sicher alle mitbekommen: Es ist möglich, dass man etwas, dass man einmal wollte, nicht mehr will!
Ich weiss nicht wie es euch geht, doch dieses Wissen hilft mir. Alleine das Wissen, dass mein Empfinden normal ist, hilft mir, dass ich mich besser fühle. Wieso musste ich so lange warten? Wieso hat mir, vor Agota, nie jemand gesagt, wo sexuelle Gewalt beginnt und wie ich dagegen vorgehen kann? (Naja okay, unser Bildungssystem kann ich vielleicht in einem nächsten Blog hinterfragen...) Doch ich bin froh, dass ich es jetzt weiss.
Nun, ich habe leider kein Geheimrezept und es existiert auch kein Schalter, der die Stimmen in meinen Kopf abstellt, doch ich kann sie hinterfragen und mir bewusstwerden, dass sie nicht immer recht haben. Und zum Glück habe ich Freund*innen, die mir auch mitten in der Nacht, wenn die Stimmen einmal mehr zu laut werden, kurz bestätigen können, dass ich nicht selber schuld war.
Ich habe übrigens den Typen von der Anfangsstory mit meinen Emotionen konfrontiert. Wie erwartet, war er sich nicht bewusst, dass er etwas falsch gemacht hat und war froh über meine Rückmeldung. Natürlich haben nicht alle so eine grosse Klappe wie ich und können das einfach so machen, doch liebe Frauen*, genau so können wir andere vor unseren Schicksalen bewahren.
Reden wir über unser Empfinden. Sprechen wir über unsere Probleme. Schaffen wir uns gemeinsam, in der «Männerwelt» von Joko und Klaas, Platz für unsere «Frauen*welt».